• Eine Kurzgeschichte untersuchen II
  • FachkonferenzDeutsch
  • 06.03.2025
  • Deutsch
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  • M (Mindeststandard)
  • 8
  • Arbeitsblatt
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Die Streu­sel­schne­cke (2000)

Julia Franck

Der Anruf kam, als ich vier­zehn war. Ich wohn­te seit einem Jahr nicht mehr bei mei­ner Mut­ter und mei­nen Schwes­tern, son­dern bei Freun­den in Ber­lin. Eine frem­de Stim­me mel­de­te sich, der Mann nann­te sei­nen Namen, sagte mir, er lebe in Ber­lin, und frag­te, ob ich ihn ken­nen­ler­nen wolle. Ich zögerte, ich war mir nicht si­cher. Zwar hatte ich schon viel über sol­che Tref­fen gehört und mir oft vor­ge­stellt, wie so etwas wäre, aber als es so weit war, emp­fand ich eher Un­be­ha­gen. Wir ver­ab­re­de­ten uns.

Er trug Jeans, Jacke und Hose. Ich hatte mich ge­schminkt. Er führte mich ins Café Rich­ter am Hin­de­mith­platz, und wir gin­gen ins Kino, ein Film von Roh­mer. Un­sym­pa­thisch war er nicht, eher schüchtern. Er nahm mich mit ins Re­stau­rant und stell­te mich sei­nen Freun­den vor. Ein fei­nes, iro­ni­sches Lächeln zog er zwi­schen sich und die an­de­ren Men­schen. Ich ahnte, was das Lächeln ver­riet.

Ei­ni­ge Male durf­te ich ihn bei sei­ner Ar­beit be­su­chen. Er schrieb Drehbücher und führte Regie bei Fil­men. Ich frag­te mich, ob er mir Geld geben würde, wenn wir uns tref­fen, aber er gab mir keins, und ich trau­te mich nicht, da­nach zu fra­gen. Schlimm war das nicht, schließ­lich kann­te ich ihn kaum, was soll­te ich da schon ver­lan­gen? Au­ßer­dem konn­te ich für mich selbst sor­gen, ich ging zur Schu­le und put­zen und ar­bei­te­te als Kindermädchen. Bald würde ich alt genug sein, um als Kell­ne­rin zu ar­bei­ten, und viel­leicht wurde ja auch noch eines Tages etwas Rich­ti­ges aus mir.

Zwei Jahre später, der Mann und ich waren uns noch immer etwas fremd, sagte er mir, er sei krank. Er starb ein Jahr lang, ich be­such­te ihn im Kran­ken­haus und frag­te, was er sich wünsche. Er sagte mir, er habe Angst vor dem Tod und wolle es so schnell wie möglich hin­ter sich brin­gen. Er frag­te mich, ob ich ihm Mor­phi­um be­sor­gen könne.

Der Anruf kam, als ich vier­zehn war. Ich wohn­te seit einem Jahr nicht mehr bei mei­ner Mut­ter und mei­nen Schwes­tern, son­dern bei Freun­den in Ber­lin. Eine frem­de Stim­me mel­de­te sich, der Mann nann­te sei­nen Namen, sagte mir, er lebe in Ber­lin, und frag­te, ob ich ihn ken­nen­ler­nen wolle. Ich zögerte, ich war mir nicht si­cher. Zwar hatte ich schon viel über sol­che Tref­fen gehört und mir oft vor­ge­stellt, wie so etwas wäre, aber als es so weit war, emp­fand ich eher Un­be­ha­gen. Wir ver­ab­re­de­ten uns.

Er trug Jeans, Jacke und Hose. Ich hatte mich ge­schminkt. Er führte mich ins Café Rich­ter am Hin­de­mith­platz, und wir gin­gen ins Kino, ein Film von Roh­mer. Un­sym­pa­thisch war er nicht, eher schüchtern. Er nahm mich mit ins Re­stau­rant und stell­te mich sei­nen Freun­den vor. Ein fei­nes, iro­ni­sches Lächeln zog er zwi­schen sich und die an­de­ren Men­schen. Ich ahnte, was das Lächeln ver­riet.

Ei­ni­ge Male durf­te ich ihn bei sei­ner Ar­beit be­su­chen. Er schrieb Drehbücher und führte Regie bei Fil­men. Ich frag­te mich, ob er mir Geld geben würde, wenn wir uns tref­fen, aber er gab mir keins, und ich trau­te mich nicht, da­nach zu fra­gen. Schlimm war das nicht, schließ­lich kann­te ich ihn kaum, was soll­te ich da schon ver­lan­gen? Au­ßer­dem konn­te ich für mich selbst sor­gen, ich ging zur Schu­le und put­zen und ar­bei­te­te als Kindermädchen. Bald würde ich alt genug sein, um als Kell­ne­rin zu ar­bei­ten, und viel­leicht wurde ja auch noch eines Tages etwas Rich­ti­ges aus mir.

Zwei Jahre später, der Mann und ich waren uns noch immer etwas fremd, sagte er mir, er sei krank. Er starb ein Jahr lang, ich be­such­te ihn im Kran­ken­haus und frag­te, was er sich wünsche. Er sagte mir, er habe Angst vor dem Tod und wolle es so schnell wie möglich hin­ter sich brin­gen. Er frag­te mich, ob ich ihm Mor­phi­um be­sor­gen könne.

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14-​jähriges Mäd­chen be­kommt Anruf von Mann der sie wie­der­se­hen möch­te.

dem Tod und wolle es so schnell wie möglich hin­ter sich brin­gen. Er frag­te mich, ob ich ihm Mor­phi­um be­sor­gen könne. Ich dach­te nach, ich hatte ei­ni­ge Freun­de, die Dro­gen nah­men, aber kei­nen, der sich mit Mor­phi­um aus­kann­te. Auch war ich mir nicht si­cher, ob die im Kran­ken­haus her­aus­fin­den woll­ten und würden, woher es kam. Ich ver­gaß seine Bitte.

Manch­mal brach­te ich ihm Blu­men. Er frag­te nach dem Mor­phi­um, und ich frag­te ihn, ob er sich Ku­chen wünsche, schließ­lich wuss­te ich, wie gerne er Torte aß. Er sagte, die ein­fa­chen Dinge seien ihm jetzt die liebs­ten – er wolle nur Streu­sel­schne­cken, nichts sonst. Ich ging nach Hause und buk Streu­sel­schne­cken, zwei Ble­che voll. Sie waren noch warm, als ich sie ins Kran­ken­haus brach­te. Er sagte, er hätte gerne mit mir ge­lebt, es zu­min­dest gern ver­sucht, er habe immer ge­dacht, dafür sei noch Zeit, eines Tages – aber jetzt sei es zu spät.

Kurz nach mei­nem sieb­zehn­ten Ge­burts­tag war er tot. Meine klei­ne Schwes­ter kam nach Ber­lin, wir gin­gen gern­ein­sam zur Be­er­di­gung. Meine Mut­ter kam nicht. Ich nehme an, sie war mit an­de­rem beschäftigt, au­ßer­dem hatte sie mei­nen Vater zu wenig ge­kannt und nicht ge­liebt.

dem Tod und wolle es so schnell wie möglich hin­ter sich brin­gen. Er frag­te mich, ob ich ihm Mor­phi­um be­sor­gen könne. Ich dach­te nach, ich hatte ei­ni­ge Freun­de, die Dro­gen nah­men, aber kei­nen, der sich mit Mor­phi­um aus­kann­te. Auch war ich mir nicht si­cher, ob die im Kran­ken­haus her­aus­fin­den woll­ten und würden, woher es kam. Ich ver­gaß seine Bitte.

Manch­mal brach­te ich ihm Blu­men. Er frag­te nach dem Mor­phi­um, und ich frag­te ihn, ob er sich Ku­chen wünsche, schließ­lich wuss­te ich, wie gerne er Torte aß. Er sagte, die ein­fa­chen Dinge seien ihm jetzt die liebs­ten – er wolle nur Streu­sel­schne­cken, nichts sonst. Ich ging nach Hause und buk Streu­sel­schne­cken, zwei Ble­che voll. Sie waren noch warm, als ich sie ins Kran­ken­haus brach­te. Er sagte, er hätte gerne mit mir ge­lebt, es zu­min­dest gern ver­sucht, er habe immer ge­dacht, dafür sei noch Zeit, eines Tages – aber jetzt sei es zu spät.

Kurz nach mei­nem sieb­zehn­ten Ge­burts­tag war er tot. Meine klei­ne Schwes­ter kam nach Ber­lin, wir gin­gen gern­ein­sam zur Be­er­di­gung. Meine Mut­ter kam nicht. Ich nehme an, sie war mit an­de­rem beschäftigt, au­ßer­dem hatte sie mei­nen Vater zu wenig ge­kannt und nicht ge­liebt.

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Wende Schritt 1,2 und 3 der 5-​Schritt Le­se­me­tho­de an.
Schritt 1 - Über­blick ver­schaf­fen
  • Lies die Über­schrift

  • Sehe dir die Bil­der an (falls vor­han­den)

  • Ver­mu­te worum es in der Ge­schich­te gehen könn­te.

Schritt 2 - W-​Fragen stel­len und be­ant­wor­ten
  • Lies die Ge­schich­te durch

  • Be­ant­wor­te für dich die W-​Fragen

Schritt 3 - Wich­ti­ges mar­kie­ren und die Ge­schich­te in Ab­schnit­te glie­dern
  • Lies die Ge­schich­te noch­mal

  • Mar­kie­re wich­ti­ge Text­stel­len oder Wör­ter

  • Un­be­kann­te Wör­ter schlägst du im Wör­ter­buch nach oder du nutzt das In­ter­net zur Hilfe.

  • Glie­de­re die Ge­schich­te in Sin­n­ab­schnit­te (Dies wurde schon für dich ge­macht)

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Be­ant­wor­te die W-​Fragen stich­punkt­ar­tig:

Wer sind die

Haupt­fi­gu­ren?

Ein Mäd­chen und ein Mann (ihr Vater)

Was er­fah­ren wir über die Fi­gu­ren?

Über das Mäd­chen:

sehr jung; lebt nicht mehr zu Hause; hofft auf eine bes­se­re Zu­kunft; geht noch zu Schu­le



Über den Mann:

Er ist Re­gis­seur; er­krankt und muss ins Kran­ken­haus; hätte gerne mehr Zeit mit dem Mäd­chen ver­bracht; er ist ihr Vater

Was pas­siert

zwi­schen den

Haupt­fi­gu­ren?

Sie tref­fen sich das erste Mal nach einem Te­le­fo­nat in einem Café;

Das Mäd­chen be­sucht den Mann re­gel­mä­ßig im Kran­ken­haus, sie ver­sucht ihm die Zeit so gut es geht zu ver­schö­nern;

Die bei­den ler­nen sich bes­ser ken­nen mit der Zeit

Wo spielt die

Hand­lung der

Ge­schich­te?

- Café Rich­ter

- Kino

- Re­stau­rant

- Kran­ken­haus

Wann spielt die

Ge­schich­te?

Vom 14. bis zum 17. Le­bens­jahr des Mäd­chens

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Wende nun den 4. Schritt der 5-​Schritt-​Lesemethode an.





Schrei­be di­rekt neben die Kurz­ge­schich­te.
Schritt 4 - Über­schrif­ten für Ab­schnit­te fin­den
  • Ich for­mu­lie­re pas­sen­de Über­schrif­ten zu den ein­zel­nen Ab­schnit­ten, die ich in Schritt 3 ein­ge­teilt habe.

1. Sin­n­ab­schnitt

Der erste Sin­n­ab­schnitt ist be­reits vor­ge­ge­ben, so be­kommst du einen Ein­druck, wie du vor­ge­hen kannst.

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Ordne die fol­gen­den Er­eig­nis­se in die rich­ti­ge Rei­hen­fol­ge.
(1-8)
  • Zwei Jahre spä­ter er­zählt der Mann dem Mäd­chen, er sei krank. Sie be­sucht ihn oft im Kran­ken­haus, doch er kommt ihr immer noch etwas fremd vor.
  • Bei ihrem nächs­ten Be­such sagt ihr der Mann, er hätte gerne mit ihr zu­sam­men­ge­lebt.
  • Die bei­den tref­fen sich im Café Rich­ter, in einem Kino und in einem Re­stau­rant. Sie be­sucht ihn auch mal bei der Ar­beit.
  • Statt­des­sen bringt sie ihm Blu­men und fragt, ob er sich einen Ku­chen wün­sche.
  • Nach ihrem 17. Ge­burts­tag stirbt der Mann und es stellt sich her­aus, dass es sich um den Vater des Mäd­chens han­delt.
  • Er ant­wor­tet, dass er nur Streu­sel­schne­cken haben wolle. Diese backt sie an­schlie­ßend und bringt sie ins Kran­ken­haus.
  • Der Mann er­zählt ihr von sei­ner Angst vor dem Tod. Er fragt das Mäd­chen, ob sie ihm Mor­phi­um be­sor­gen könne. Diese Bitte igno­riert sie.
  • Im Alter von 14 Jah­ren be­kommt ein Mäd­chen einen Anruf von einem Mann, der sie ken­nen­ler­nen möch­te.
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Schrei­be in ein bis zwei Sät­zen worum es in der Ge­schich­te geht (Thema).
Ein Mädchen lernt mit 14 Jahren ihren Vater kennen und verliert ihn nach drei Jahren, aufgrund einer Krankheit, wieder.
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