• Textsorten I - Kurzgeschichten
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  • 06.03.2025
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Lies die Kurz­ge­schich­te Spa­ghet­ti für Zwei von Fe­deri­ca de Cesco. Gehe nach der 5-​Schritt-​Lesemethode vor.
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Wich­tig

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Spa­ghet­ti für Zwei (1986)

Fre­de­ri­ca de Cesco

Heinz war bald vier­zehn und fühl­te sich sehr cool. In der Klas­se und auf dem Fuß­ball­platz hatte er das Sagen. Im Un­ter­richt mach­te er gerne auf Ver­wei­ge­rung. Die Leh­rer soll­ten bloß nicht auf den Ge­dan­ken kom­men, dass er sich an­streng­te.

Mit­tags konn­te er nicht nach Hause, weil der eine Bus zu früh, der an­de­re zu spät ab­fuhr. So aß er im Selbst­be­die­nungs­re­stau­rant, gleich ge­gen­über der Schu­le. Viel Geld woll­te Heinz nicht aus­ge­ben. „Ita­li­e­ni­sche Ge­mü­se­sup­pe“ stand im Menü. Ein schwit­zen­des Fräu­lein schöpf­te die Suppe aus einem damp­fen­den Topf. Heinz nick­te zu­frie­den. Der Tel­ler war or­dent­lich voll. Eine Schnit­te Brot dazu, und er würde be­stimmt satt.

Er setz­te sich an einen frei­en Tisch. Da merk­te er, dass er den Löf­fel ver­ges­sen hatte. Heinz stand auf und holte sich einen. Als er zu sei­nem Tisch zu­rück­stapf­te, trau­te er sei­nen Augen nicht: Ein Schwar­zer saß an sei­nem Platz und aß see­len­ru­hig seine Ge­mü­se­sup­pe! Heinz stand mit sei­nem Löf­fel fas­sungs­los da, bis ihn die Wut pack­te. Zum Teu­fel mit die­sen Asyl­be­wer­bern! Der kam ir­gend­wo aus Uaga­du­ga, woll­te sich in der Schweiz breit ma­chen, und jetzt fiel ihm nichts Bes­se­res ein, als aus­ge­rech­net seine Ge­mü­se­sup­pe zu ver­zeh­ren! Schon mög­lich, dass so was den afri­ka­ni­schen Sit­ten ent­sprach, aber hier­zu­lan­de was das eine bo­den­lo­se Un­ver­schämt­heit. Heinz öff­ne­te den Mund, um dem Men­schen laut­stark seine Mei­nung zu sagen, als ihm auf­fiel, dass die Leute ihn ko­misch an­sa­hen. Heinz wurde rot. Er woll­te nicht als Ras­sist gel­ten. Aber was nun?

Plötz­lich fass­te er einen Ent­schluss. Er zog einen Stuhl zu­rück und setz­te sich dem Schwar­zen ge­gen­über. Die­ser hob den Kopf, blick­te ihn kurz an und schlürf­te un­ge­stört die Suppe wei­ter. Heinz press­te die Zähne zu­sam­men, dass seine Kinn­ba­cken schmerz­ten. Dann pack­te er en­er­gisch den Löf­fel, beug­te sich über den Tisch und tauch­te ihn in die Suppe. Der Schwar­ze hob aber­mals den Kopf. Se­kun­den­lang starr­ten sie sich an. Heinz führ­te mit leicht zit­tern­der Hand den Löf­fel zum Mund und tauch­te ihn zum zwei­ten Mal in die Suppe. Sei­nen vol­len Löf­fel in der Hand fuhr der Schwar­ze fort, ihn stumm zu be­trach­ten. Dann senk­te er die Augen auf sei­nen Tel­ler und aß wei­ter. Eine Weile ver­ging. Beide teil­ten sich die Suppe, ohne dass ein Wort fiel.

Heinz war bald vier­zehn und fühl­te sich sehr cool. In der Klas­se und auf dem Fuß­ball­platz hatte er das Sagen. Im Un­ter­richt mach­te er gerne auf Ver­wei­ge­rung. Die Leh­rer soll­ten bloß nicht auf den Ge­dan­ken kom­men, dass er sich an­streng­te.

Mit­tags konn­te er nicht nach Hause, weil der eine Bus zu früh, der an­de­re zu spät ab­fuhr. So aß er im Selbst­be­die­nungs­re­stau­rant, gleich ge­gen­über der Schu­le. Viel Geld woll­te Heinz nicht aus­ge­ben. „Ita­li­e­ni­sche Ge­mü­se­sup­pe“ stand im Menü. Ein schwit­zen­des Fräu­lein schöpf­te die Suppe aus einem damp­fen­den Topf. Heinz nick­te zu­frie­den. Der Tel­ler war or­dent­lich voll. Eine Schnit­te Brot dazu, und er würde be­stimmt satt.

Er setz­te sich an einen frei­en Tisch. Da merk­te er, dass er den Löf­fel ver­ges­sen hatte. Heinz stand auf und holte sich einen. Als er zu sei­nem Tisch zu­rück­stapf­te, trau­te er sei­nen Augen nicht: Ein Schwar­zer saß an sei­nem Platz und aß see­len­ru­hig seine Ge­mü­se­sup­pe! Heinz stand mit sei­nem Löf­fel fas­sungs­los da, bis ihn die Wut pack­te. Zum Teu­fel mit die­sen Asyl­be­wer­bern! Der kam ir­gend­wo aus Uaga­du­ga, woll­te sich in der Schweiz breit ma­chen, und jetzt fiel ihm nichts Bes­se­res ein, als aus­ge­rech­net seine Ge­mü­se­sup­pe zu ver­zeh­ren! Schon mög­lich, dass so was den afri­ka­ni­schen Sit­ten ent­sprach, aber hier­zu­lan­de was das eine bo­den­lo­se Un­ver­schämt­heit. Heinz öff­ne­te den Mund, um dem Men­schen laut­stark seine Mei­nung zu sagen, als ihm auf­fiel, dass die Leute ihn ko­misch an­sa­hen. Heinz wurde rot. Er woll­te nicht als Ras­sist gel­ten. Aber was nun?

Plötz­lich fass­te er einen Ent­schluss. Er zog einen Stuhl zu­rück und setz­te sich dem Schwar­zen ge­gen­über. Die­ser hob den Kopf, blick­te ihn kurz an und schlürf­te un­ge­stört die Suppe wei­ter. Heinz press­te die Zähne zu­sam­men, dass seine Kinn­ba­cken schmerz­ten. Dann pack­te er en­er­gisch den Löf­fel, beug­te sich über den Tisch und tauch­te ihn in die Suppe. Der Schwar­ze hob aber­mals den Kopf. Se­kun­den­lang starr­ten sie sich an. Heinz führ­te mit leicht zit­tern­der Hand den Löf­fel zum Mund und tauch­te ihn zum zwei­ten Mal in die Suppe. Sei­nen vol­len Löf­fel in der Hand fuhr der Schwar­ze fort, ihn stumm zu be­trach­ten. Dann senk­te er die Augen auf sei­nen Tel­ler und aß wei­ter. Eine Weile ver­ging. Beide teil­ten sich die Suppe, ohne dass ein Wort fiel.

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der Hand fuhr der Schwar­ze fort, ihn stumm zu be­trach­ten. Dann senk­te er die Augen auf sei­nen Tel­ler und aß wei­ter. Eine Weile ver­ging. Beide teil­ten sich die Suppe, ohne dass ein Wort fiel.

Heinz ver­such­te nach­zu­den­ken. „Viel­leicht hat der Mensch kein Geld, muss schon ta­ge­lang hun­gern. Viel­leicht würde ich mit lee­rem Magen ähn­lich re­agie­ren? Und Deutsch kann er an­schei­nend auch nicht, sonst würde er da nicht sit­zen wie ein Klotz. Ist doch pein­lich. Ich an sei­ner Stel­le würde mich schä­men. Ob Schwar­ze wohl rot wer­den kön­nen?“ Das leich­te Klir­ren des Löf­fels, den der Afri­ka­ner in den lee­ren Tel­ler legte, ließ Heinz die Augen heben.

Der Schwar­ze hatte sich zu­rück­ge­lehnt und sah ihn an. Heinz konn­te sei­nen Blick nicht deu­ten. In sei­ner Ver­wir­rung lehn­te er sich eben­falls zu­rück. Er ver­such­te, den Schwar­zen ab­zu­schät­zen. „Jun­ger Kerl. Etwas älter als ich. Viel­leicht sech­zehn oder sogar schon acht­zehn. Nor­mal an­ge­zo­gen: Jeans, Pulli, Wind­ja­cke. Sieht ei­gent­lich nicht wie ein Ob­dach­lo­ser aus. Im­mer­hin, der hat meine halbe Suppe auf­ge­ges­sen und sagt nicht ein­mal danke! Ver­dammt, ich habe noch Hun­ger!“

Der Schwar­ze stand auf. Heinz blieb der Mund offen. „Haut der tat­säch­lich ab? Jetzt ist aber das Maß voll! So eine Frech­heit! Der soll mir we­nigs­tens die halbe Ge­mü­se­sup­pe be­zah­len!“

Er woll­te auf­sprin­gen, Krach schla­gen. Da sah er, wie sich der Schwar­ze mit einem Ta­blett in der Hand wie­der an­stell­te. Heinz fiel un­sanft auf sei­nen Stuhl zu­rück. „Also doch: Der Mensch hat Geld! Aber bil­det der sich viel­leicht ein, dass ich ihm den zwei­ten Gang be­zah­le?“ Heinz griff has­tig nach sei­ner Schul­map­pe. „Bloß weg von hier, bevor er mich zur Kasse bit­tet!“ Aber nein, si­cher­lich nicht. Oder doch, Heinz ließ die Mappe los und kratz­te ner­vös an sei­nem Pi­ckel. Ir­gend­wie woll­te er wis­sen, wie es wei­ter­ging. Jetzt stand der Schwar­ze vor der Kasse und – wahr­haf­tig – er be­zahl­te! Heinz schnief­te. „Ver­rückt!“ dach­te er. „Total ge­spon­nen!“

Da kam der Schwar­ze zu­rück. Er trug das Ta­blett, auf dem ein gro­ßer Tel­ler Spa­ghet­ti stand, mit To­ma­ten­sauce, vier Fleisch­bäll­chen und zwei Ga­beln. Immer noch stumm, setz­te der sich Heinz ge­gen­über, schob den Tel­ler in die Mitte des Ti­sches, nahm eine Gabel und be­gann zu essen. Heinz Wim­pern flat­ter­ten. Die­ser Typ for­der­te ihn tat­säch­lich auf, die Spa­ghet­ti mit ihm zu tei­len!

Heinz brach in Schweiß aus. Was nun? Soll­te er essen? Nicht essen? Seine Ge­dan­ken überstürzten sich. Wenn der Mensch doch we­nigs­tens reden würde! „Na gut. Er aß die Hälfte mei­ner Suppe, jetzt esse ich die Hälfte sei­ner Spa­ghet­ti, dann sind wir quitt!“ Wütend und beschämt griff Heinz nach der Gabel, roll­te die Spa­ghet­ti auf und steck­te sie in den Mund. Schwei­gen. Beide ver­schlan­gen die Spa­ghet­ti.

der Hand fuhr der Schwar­ze fort, ihn stumm zu be­trach­ten. Dann senk­te er die Augen auf sei­nen Tel­ler und aß wei­ter. Eine Weile ver­ging. Beide teil­ten sich die Suppe, ohne dass ein Wort fiel.

Heinz ver­such­te nach­zu­den­ken. „Viel­leicht hat der Mensch kein Geld, muss schon ta­ge­lang hun­gern. Viel­leicht würde ich mit lee­rem Magen ähn­lich re­agie­ren? Und Deutsch kann er an­schei­nend auch nicht, sonst würde er da nicht sit­zen wie ein Klotz. Ist doch pein­lich. Ich an sei­ner Stel­le würde mich schä­men. Ob Schwar­ze wohl rot wer­den kön­nen?“ Das leich­te Klir­ren des Löf­fels, den der Afri­ka­ner in den lee­ren Tel­ler legte, ließ Heinz die Augen heben.

Der Schwar­ze hatte sich zu­rück­ge­lehnt und sah ihn an. Heinz konn­te sei­nen Blick nicht deu­ten. In sei­ner Ver­wir­rung lehn­te er sich eben­falls zu­rück. Er ver­such­te, den Schwar­zen ab­zu­schät­zen. „Jun­ger Kerl. Etwas älter als ich. Viel­leicht sech­zehn oder sogar schon acht­zehn. Nor­mal an­ge­zo­gen: Jeans, Pulli, Wind­ja­cke. Sieht ei­gent­lich nicht wie ein Ob­dach­lo­ser aus. Im­mer­hin, der hat meine halbe Suppe auf­ge­ges­sen und sagt nicht ein­mal danke! Ver­dammt, ich habe noch Hun­ger!“

Der Schwar­ze stand auf. Heinz blieb der Mund offen. „Haut der tat­säch­lich ab? Jetzt ist aber das Maß voll! So eine Frech­heit! Der soll mir we­nigs­tens die halbe Ge­mü­se­sup­pe be­zah­len!“

Er woll­te auf­sprin­gen, Krach schla­gen. Da sah er, wie sich der Schwar­ze mit einem Ta­blett in der Hand wie­der an­stell­te. Heinz fiel un­sanft auf sei­nen Stuhl zu­rück. „Also doch: Der Mensch hat Geld! Aber bil­det der sich viel­leicht ein, dass ich ihm den zwei­ten Gang be­zah­le?“ Heinz griff has­tig nach sei­ner Schul­map­pe. „Bloß weg von hier, bevor er mich zur Kasse bit­tet!“ Aber nein, si­cher­lich nicht. Oder doch, Heinz ließ die Mappe los und kratz­te ner­vös an sei­nem Pi­ckel. Ir­gend­wie woll­te er wis­sen, wie es wei­ter­ging. Jetzt stand der Schwar­ze vor der Kasse und – wahr­haf­tig – er be­zahl­te! Heinz schnief­te. „Ver­rückt!“ dach­te er. „Total ge­spon­nen!“

Da kam der Schwar­ze zu­rück. Er trug das Ta­blett, auf dem ein gro­ßer Tel­ler Spa­ghet­ti stand, mit To­ma­ten­sauce, vier Fleisch­bäll­chen und zwei Ga­beln. Immer noch stumm, setz­te der sich Heinz ge­gen­über, schob den Tel­ler in die Mitte des Ti­sches, nahm eine Gabel und be­gann zu essen. Heinz Wim­pern flat­ter­ten. Die­ser Typ for­der­te ihn tat­säch­lich auf, die Spa­ghet­ti mit ihm zu tei­len!

Heinz brach in Schweiß aus. Was nun? Soll­te er essen? Nicht essen? Seine Ge­dan­ken überstürzten sich. Wenn der Mensch doch we­nigs­tens reden würde! „Na gut. Er aß die Hälfte mei­ner Suppe, jetzt esse ich die Hälfte sei­ner Spa­ghet­ti, dann sind wir quitt!“ Wütend und beschämt griff Heinz nach der Gabel, roll­te die Spa­ghet­ti auf und steck­te sie in den Mund. Schwei­gen. Beide ver­schlan­gen die Spa­ghet­ti.

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„Ei­gent­lich nett von ihm, dass er mir eine Gabel brach­te“, dach­te Heinz. „Aber was soll ich jetzt sagen? Danke? Saublöde!“ „Einen Vor­wurf ma­chen kann ich ihm auch nicht mehr. Viel­leicht hat er gar nicht ge­merkt, dass er meine Suppe aß. Oder viel­leicht ist es üblich in Afri­ka, sich das Essen zu tei­len? Schme­cken gut, die Spa­ghet­ti. Wenn ich nur nicht so schwit­zen würde!“ Die Por­ti­on war sehr reich­lich. Bald hatte Heinz kei­nen Hun­ger mehr. Dem Schwar­zen ging es eben­so. Er legte die Gabel aufs Ta­blett und putz­te sich mit der Pa­pier­ser­vi­et­te den Mund ab. Heinz räusperte sich. Der Schwar­ze lehn­te sich zurück, schob die Dau­men in die Jeans­ta­schen und sah ihn an. Un­durch­dring­lich. Heinz kratz­te sich unter dem Roll­kra­gen, bis ihm die Haut schmerz­te. „Wenn ich nur wüsste, was er denkt!“ Ver­wirrt, schwit­zend und er­bost ließ er seine Bli­cke um­her­wan­dern. Plötzlich spürte er ein Krib­beln im Na­cken. Ein Schau­er jagte ihm über die Wirbelsäule von den Ohren bis ans Gesäß. Auf dem Ne­ben­tisch, an den sich bis­her nie­mand ge­setzt hatte, stand – ein­sam auf dem Ta­blett – ein Tel­ler kal­ter Gemüsesuppe.

Heinz er­leb­te den pein­lichs­ten Au­gen­blick sei­nes Le­bens. Am liebs­ten hätte er sich in ein Mau­se­loch ver­kro­chen. Es ver­gin­gen zehn volle Se­kun­den, bis er es end­lich wagte, dem Schwar­zen ins Ge­sicht zu sehen. Der saß da, völlig ent­spannt und coo­ler, als Heinz es je sein würde, und wipp­te leicht mit dem Stuhl hin und her.

„Ah...“, stam­mel­te Heinz, feu­er­rot im Ge­sicht. „Ent­schul­di­gen Sie bitte. Ich ...!“ Er sah die Pu­pil­len des Schwar­zen auf­blit­zen. Auf ein­mal warf die­ser den Kopf zurück, brach in dröhnendes Gelächter aus. Zu­erst brach­te Heinz nur ein verschämtes Gluck­sen zu­stan­de, bis end­lich der Bann ge­bro­chen war und er aus vol­lem Halse in das Gelächter des Afri­ka­ners ein­stimm­te. Eine Weile saßen sie da, von La­chen geschüttelt. Dann stand der Schwar­ze auf, schlug Heinz auf die Schul­ter. „Ich heiße Mar­cel“, sagte er in bes­tem Deutsch. „Ich esse jeden Tag hier. Sehe ich dich mor­gen wie­der? Um die glei­che Zeit?“ Heinz Augen tränten, und er schnapp­te nach Luft. „In Ord­nung!“ keuch­te er. „Aber dann spen­die­re ich die Spa­ghet­ti!“

„Ei­gent­lich nett von ihm, dass er mir eine Gabel brach­te“, dach­te Heinz. „Aber was soll ich jetzt sagen? Danke? Saublöde!“ „Einen Vor­wurf ma­chen kann ich ihm auch nicht mehr. Viel­leicht hat er gar nicht ge­merkt, dass er meine Suppe aß. Oder viel­leicht ist es üblich in Afri­ka, sich das Essen zu tei­len? Schme­cken gut, die Spa­ghet­ti. Wenn ich nur nicht so schwit­zen würde!“ Die Por­ti­on war sehr reich­lich. Bald hatte Heinz kei­nen Hun­ger mehr. Dem Schwar­zen ging es eben­so. Er legte die Gabel aufs Ta­blett und putz­te sich mit der Pa­pier­ser­vi­et­te den Mund ab. Heinz räusperte sich. Der Schwar­ze lehn­te sich zurück, schob die Dau­men in die Jeans­ta­schen und sah ihn an. Un­durch­dring­lich. Heinz kratz­te sich unter dem Roll­kra­gen, bis ihm die Haut schmerz­te. „Wenn ich nur wüsste, was er denkt!“ Ver­wirrt, schwit­zend und er­bost ließ er seine Bli­cke um­her­wan­dern. Plötzlich spürte er ein Krib­beln im Na­cken. Ein Schau­er jagte ihm über die Wirbelsäule von den Ohren bis ans Gesäß. Auf dem Ne­ben­tisch, an den sich bis­her nie­mand ge­setzt hatte, stand – ein­sam auf dem Ta­blett – ein Tel­ler kal­ter Gemüsesuppe.

Heinz er­leb­te den pein­lichs­ten Au­gen­blick sei­nes Le­bens. Am liebs­ten hätte er sich in ein Mau­se­loch ver­kro­chen. Es ver­gin­gen zehn volle Se­kun­den, bis er es end­lich wagte, dem Schwar­zen ins Ge­sicht zu sehen. Der saß da, völlig ent­spannt und coo­ler, als Heinz es je sein würde, und wipp­te leicht mit dem Stuhl hin und her.

„Ah...“, stam­mel­te Heinz, feu­er­rot im Ge­sicht. „Ent­schul­di­gen Sie bitte. Ich ...!“ Er sah die Pu­pil­len des Schwar­zen auf­blit­zen. Auf ein­mal warf die­ser den Kopf zurück, brach in dröhnendes Gelächter aus. Zu­erst brach­te Heinz nur ein verschämtes Gluck­sen zu­stan­de, bis end­lich der Bann ge­bro­chen war und er aus vol­lem Halse in das Gelächter des Afri­ka­ners ein­stimm­te. Eine Weile saßen sie da, von La­chen geschüttelt. Dann stand der Schwar­ze auf, schlug Heinz auf die Schul­ter. „Ich heiße Mar­cel“, sagte er in bes­tem Deutsch. „Ich esse jeden Tag hier. Sehe ich dich mor­gen wie­der? Um die glei­che Zeit?“ Heinz Augen tränten, und er schnapp­te nach Luft. „In Ord­nung!“ keuch­te er. „Aber dann spen­die­re ich die Spa­ghet­ti!“

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http://schu­e­ler.fms­wien21.at/images/FMS02/Deutsch/Spa­ghet­ti%20fuer%20zwei_Ori­gi­nal.pdf

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Nenne zwei Merk­ma­le von Kurz­ge­schich­ten, die in die­ser Kurz­ge­schich­te zu er­ken­nen sind. Be­schrei­be an­schlie­ßend, wie sich das Merk­mal im Text zeigt.
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Merk­mal

Be­schrei­be, wie das Merk­mal sich im Text zeigt:

wenig Fi­gu­ren

Mo­ment­auf­nah­me

Wen­de­punkt

Afri­ka­ner (Mar­cel) ind Heinz

Es han­delt sich nur um das Mit­tag­essen.

Heinz wird klar, dass er dem Afri­ka­ner un­recht getan hat. Er sieht seine Suppe wo­an­ders ste­hen.

Of­fe­ner An­fang/Of­fe­nes Ende

Allltags­s­si­ta­ti­on

Man wird ziem­lich schnell in die Si­tu­a­ti­on rein­ge­wor­fen und be­kommt auch kei­nen Aus­blick, wie es mit den bei­den wei­ter­geht.

Mit­tag­essen in der Mensa ist all­täg­lich. Vor­ur­tei­le haben lei­der auch.



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Ordne die fol­gen­den Er­eig­nis­se in die rich­ti­ge Rei­hen­fol­ge.
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  • Heinz isst mit sei­nem Löf­fel die Suppe des Afri­ka­ners.
  • Heinz sucht sich mit sei­nem Tel­ler einen frei­en Tisch.
  • Der Afri­ka­ner stand auf und Heinz blieb der Mund of­fen­ste­hen.
  • Ich an sei­ner Stel­le würde mich schä­men
  • Der Afri­ka­ner kommt mit einem Tel­ler Spa­ghet­ti zu­rück.
  • Die Leute schau­en Heinz ko­misch an, er wird rot.
  • Ge­mein­sam essen sie die Spa­ghet­ti aus einem Tel­ler.
  • Heinz er­leb­te den pein­lichs­ten Au­gen­blick sei­nes Le­bens.
  • Mar­cel lacht laut und stellt sich vor.
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Nenne das Thema der Kurz­ge­schich­te in ein bis zwei Sät­zen.
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Es geht um einen Jungen, der durch seine Vorteile einem Afrikaner gegenüber in eine peinliche Situation gerät / Es geht um einen Jungen, der einem afrikanischen Mann beschuldigt, sein Essen genommen zu haben. Es stellt sich jedoch heraus, dass er den Tisch verwechselt hat.
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Schrei­be eine In­halts­an­ga­be zur Kurz­ge­schich­te Spa­ghet­ti für zwei von Fre­de­ri­ca de Cesco. Gehe dabei so vor:
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  • Schrei­be eine Ein­lei­tung in der du Titel, Au­torin, Text­sor­te und Er­schei­nungs­jahr nennst und das Thema for­mu­lierst.
  • Fasse den In­halt des Tex­tes in ei­ge­nen Wor­ten zu­sam­men.
    Deine No­ti­zen zu jedem Sin­n­ab­schnitt und die Auf­ga­be 3 hel­fen dir dabei.
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